November - Dezember

Aktivitäten

Vom 16. bis 18. Oktober 2018 organisierte die Arbeitsgruppe Prof. Dr. Matthias Kaufmann, Dr. Christoph Haar, Christian Müller und Dr. Des Manuela Massa von der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg das interdisziplinäre Kolloquium Civilization-Nature-Subjugation. Variations of (De-)Colonisation mit interessanten Vorträge zur Schule von Salamanca und ähnliche Themen.

Dr. Christoph Haar hat uns freundlicherweise einen umfassenden und ausführlichen Bericht über das Kolloquium geschickt, den wir nachfolgend wiedergeben:

Es stellt eine besondere Herausforderung für interdisziplinäre Tagungen dar, dass die Teilnehmer miteinander in einen fruchtbaren intellektuellen Austausch kommen. Ein solches Erlebnis stellte sich bei „Civilisation – Nature -Subjugation“ ein. Die Vertreter der historischen und philosophischen Disziplinen verteilten sich auf drei Sektionen: The Debate on Just War, Conquest and Slavery; From Sins against Nature to Matter of Fact: Justifications of Racial Hierarchies; The Decolonization of Reason. Hintergrund der internationalen Tagung war das Hallenser DFG-Projekt in dem Matthias Kaufmann, Christoph Haar und Christian Müller die Rechtfertigungen von Kolonialismus und Sklaverei sowie die Grundlagen des Konzepts der Rasse in der Frühneuzeit unter die Lupe nehmen.

Cláudia Texeira (Évora) begann am chronologischen Startpunkt der Konferenz im 16. Jahrhundert mit der Frage, inwiefern das Beweisziel des Jesuiten Luis de Molina anders gelagert war als bei seinem dominikanischen Vorgänger Francisco de Vitoria. Vitoria nutzte das ius peregrinandi und dominium um die politische Legitimität der amerikanischen Ureinwohner bei gleichzeitiger Rechtfertigung des Krieges gegen sie in den Blick zu bekommen, während Molina eine scholastische Generation später in seiner Behandlung der zwei römisch-rechtlichen Konzepte den Umgang mit den Ureinwohnern Brasiliens vor Augen hatte. Dort befanden sich die portugiesischen Kolonisierer in einem – auch ideologischen – Spannungsverhältnis mit französischen Calvinisten, die als Siedler relativ enge Kontakte mit den Autochthonen eingingen. Die Besonderheit des spanischen Jesuiten in portugiesischen Diensten unterstrich Danae Simmermacher (Halle) mit ihrer These, dass Molina (subjektives) Recht oder ius an den Menschen qua homo koppelte statt an seine politische oder religiöse Identität.

Jörg Tellkamp (UAM Mexico City) bezog sich auf den bislang wenig beachteten Augustiner Alonso de la Veracruz um aufzuzeigen, dass Eigentumsrechte im frühen kolonialen Mexiko aus pragmatischen eher als philosophischen Rechtfertigungen heraus erwuchsen. Daran anknüpfend verteidigte Norbert Campagna (Luxemburg) die Behauptung, dass eine Angleichung der Indigenen an die Spanier auf dem Niveau der Tätigkeit für das Allgemeinwohl erfolgte. Der moralische Diskurs zum raison d’état wurde ausgedrückt in der Zwangsarbeit für das Allgemeinwohl und beinhaltete eine Politisierung des Status der indigenen Bevölkerung.

Den Schritt ins 17. Jahrhundert sowie vom politischen zum linguistischen Kontext vollzog Roberto Hofmeister-Pich (Porto Alegre), der die Verknüpfung von Kolonisierung und christlicher Mission in der religiösen Sprache betrachtete. Diese Verknüpfung führte dazu, dass eine sozio-politische Ordnung entstand, die sich im Besonderen in schwarzer Sklaverei ausdrückte. Dies wurde von Francisco José de Jaca und Epifanio de Moirans als Korrumpierung der christlichen Religion aufgefasst und mit den Waffen religiöser Sprache kritisiert. Christoph Haar (Halle) betrachtete die Vorstellung, dass Amerika unbebaut bzw. unbewohnt sei. Er argumentierte, dass Grotius seine dem Spätwerk De Iure Belli ac Pacis eigene scholastische Anthropologie dazu nutzte, um den Ureinwohnern eine Souveränität auf der Grundlage ihrer naturzustandsähnlichen, schlichten Lebensweise zuzusprechen bei gleichzeitiger Hervorhebung privater Eigentumsrechte, welche europäische Siedler in unbelegten Gebieten beanspruchen konnten.

Der Beitrag von Frank Grunert (Halle) blickte auf die bislang kaum beachteten Kritiker der Sklaverei und erklärten Verfechter des Gleichheitsgedankens Franciscus van den Enden und Pieter Cornelisz Plockhoy. Ihre Vision eines alternativen Kolonie-Projektes wird in der Publikation zur Tagung enthalten sein (der Vortrag entfiel kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen).  

Matthias Kaufmann (Halle) präsentierte eine Kernhypothese des der Konferenz zugrundeliegenden DFG-Projekts: im 17. Jahrhundert entstand parallel zur tradierten öffentlich-rechtlichen Figur des gerechten Krieges gegen ortsansässige veri domini eine privatrechtliche Denklinie, die auf die Rechtsfiguren der Erstbesetzung und einer Arbeitstheorie des Eigentums gründete. Diese Dynamik ging einher mit anthropologischen Annahmen, die bei zunehmender (Natur-)Verwissenschaftlichung die Selbstverständlichkeit des niederen Wertes nicht-europäischer, -christlicher, -weißer Bevölkerungen zeitigte. Aus der Notwendigkeit der Rechtfertigung wurde so eine Selbstverständlichkeit kolonialer Praktiken (bei allem intuitiven Unbehagen der Akteure).

In das 18. Jahrhundert verlagerte sich die Konferenz mit Damien Tricoire (Halle), der auf die politische Pragmatik vermeintlich aufklärerischer Ideale abhob: Denis Diderot hatte die französische Position und anti-spanische Propaganda in seiner Geschichte beider Indien im Sinn, statt eines losgelösten philosophischen Ethos der Aufklärung. Ähnlich staatspolitisch motiviert interpretierte Alison Stone (Lancaster) Friedrich Hegels Freiheitsverständnis. Ihr in Abwesenheit (privater Notfall) vorgelesener Vortrag entwickelte die These, dass die teleologische Struktur von Hegels Denken einen endemischen Kolonialismus bedeutete: Freiheit im eigentlichen Sinn kommt in einem so späten Stadium einer politischen Gemeinschaft zum Vorschein, dass in allen vorhergehenden Zwischenschritten koloniale Praktiken philosophisch eingeschlossen sind.  

Im Abendvortrag nahm sich Renato Mazzolini (Trento) auf quantitativer und deskriptiver Ebene den Ursprung des Konzepts der Rasse vor und kam zu dem Schluss, dass wissenschaftliche Kategorisierungen im 18. Jahrhundert in Publikationsdichte und empirischem Detail – physischer Aspekte wie z.B. die Vermessung von Körperteilen – explosionsartig zunahmen. Externe Merkmale ersetzten so die tradierten internen Merkmale zur Kategorisierung von Menschengruppen. Komplementär hierzu durchleuchtete Suman Seth (Cornell) das Erscheinen der Rasse-Medizin in den britischen Kolonien des 18. Jahrhunderts. Er stellte heraus, wie im 18. Jahrhundert der Diskurs über die physische Seite, nicht über die tradierte intellektuelle Seite für die medizinische Theoriebildung und für die Praxis bestimmend war.

Manuela Massa (Halle) stellte die These auf, dass die theologische Basis des Konzepts der Sünden gegen die Natur eine Konstante darstellte in den rechtlichen Begründungen für die Durchführung gerechter Kriege. Christian Müller (Halle) argumentierte, dass das Bestreben, Ordnung in für europäische Intellektuelle diffus erscheinende Lebensweisen zu bringen, dazu führte, dass verschiedene Entwicklungsstadien für verschiedene Kulturen angenommen wurden. Die Ausführungen verschiedener Autoren im 18. Jahrhundert zu einer kulturabhängigen Zeitstruktur begründeten einen zentralen Baustein für die Idee der Rasseneinteilung. 

In einem in der Tradition spezifisch französischer Philosophie argumentierenden, schriftlich vorgelegten Beitrag deutete Jean-Christophe Goddard (Toulouse) Dekolonisierung wesentlich als Kampf gegen die Ausbeutung (ehemals) kolonialer Territorien, der von einer „Reverse Anthropology“ seitens der Autochthonen begleitet wird. Gregory Fried (Boston College) zeigte auf, dass Dekolonisierung auch eine Dekolonisierung der Vernunft beinhaltet. Dies wiederum zeitigt philosophische Probleme, wie er sie anhand des Oeuvres von Martin Heidegger exemplifizierte. Ähnlich problematisierend ging Giuseppe Tosi (UFPB João Pessoa) Carl Schmitts Interpretation von Vitorias Vorlesungen De Indis nach und argumentierte, dass Vitoria bereits in das „moderne“ Paradigma der kolonialen Rechtfertigung durch vermeintlich humanitäre und zivilisatorische Bezüge gehörte statt, wie von Schmitt angenommen, in die ältere Tradition der Gerechtigkeitstheorien des Krieges.

Stefan Knauß (Erfurt) analysierte die Geschichte des Rassismus und ihre Folgen bis zur Gegenwart aus der dekolonialen Perspektive unter Hinweis auf das Konzept der Kolonialität der Macht bei den lateinamerikanischen Autoren Enrique Dussel, Aníbal Quijano und Walter Mignolo. Konstitutiv für diese Perspektive ist eine heuristische Position „außerhalb“ der europäischen Moderne, die sich u.a. auf Emmanuel Levinas’ Begriff der Exteriorität stützt. Knauß schlug vor, die systematische Position dieser Betrachterperspektive sowie der damit verbundenen Aufarbeitung und Kritik am kolonialen Rassismus als alternative, interkulturelle Begründung der Menschenrechte zu betrachten. Mit dem Vorschlag, entfaltet am Denken Heideggers, dass eine Kritik der (universalistischen) Metaphysik im Allgemeinen eine Kritik kolonialer Rechtfertigungen einschlösse, lieferte Rico Gutschmidt (Konstanz) den letzten Beitrag der Konferenz.

Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Sammelband publiziert. Dieser wird zwei Kernthesen des zugrundeliegenden DFG-Projekts in den akademischen Diskurs einbringen, die sich als haltbar erwiesen. Erstens: die Kontexte der politischen Pragmatik und Instrumentalisierung des zur Verfügung stehenden begrifflichen Arsenals unternahmen eine in den Quellen verfolgbare chronologische „Translation“ oder Wanderung vom langen 17. Jahrhundert ins 18. Jahrhundert. Diese These gilt unter dem Vorbehalt, dass die geografische Wanderung der Argumente in der Tagungsausschreibung fixiert war auf die transatlantische Interaktion. Dies diente dazu, einer ausufernden Thematik –besonders bei interdisziplinären Bestrebungen immer eine Gefahr – einen Riegel vorzuschieben. Zweitens: die vielfältige Rezeption tradierter Erklärungsmuster für Kolonialismus und Sklaverei brachte (natur-)wissenschaftliche Modelle hervor, die sich im teilweise traditionellen Begriffsgewand zunehmend verselbstständigten. Die engagierte und lebhafte Debatte während der drei Konferenztage lässt die begründete Annahme zu, dass diese Thesen auch in der breiteren akademischen Öffentlichkeit auf Resonanz stoßen werden.

Veröffentlichungen

Das vorliegende Newsletter wurde von José Luis Egío erfasst.